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Dissertation publiziert als:
Verena Spohn studierte von 2008 bis 2015 an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg die Fächer Klassische Philologie (Latein), Germanistik und Geschichte. Während ihres Studiums war sie als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl Mittelalterliche Geschichte (Prof. Dr. Birgit Studt) tätig, an dem sie ein Tutorat zur Einführung in die Geschichtswissenschaft übernahm. Sie arbeitete außerdem als studentische Hilfskraft im SFB 1015 Muße. Konzepte, Räume, Figuren (Teilprojekt C1: Paradoxien der Muße im Mittelalter. Paradigmen tätiger Untätigkeit in höfischer und mystischer Literatur) mit und leitete ein Mentorat zur Vorbereitung auf die Staatsexamensklausur Ältere deutsche Literatur am Deutschen Seminar. Von 2012 bis 2015 war sie Stipendiatin des Deutschlandstipendiums. Ihre wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel „Heilsgeschichte erzählt: Zur Integration von Auszügen aus Bruder Philipps Marienleben in Von Gottes zukunft Heinrichs von Neustadt (München, BSB, Cgm 5092)“ wurde vom Verband der Freunde der Universität Freiburg im Breisgau e.V. mit einem Stipendium gefördert und mit dem Preis der Alumni Freiburg für hervorragende Abschlussarbeiten (Philologische Fakultät) ausgezeichnet.
Von Oktober 2015 bis September 2018 promovierte sie als Kollegiatin des Graduiertenkollegs 1767 Faktuales und Fiktionales Erzählen.
Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die geistliche Literatur des Mittelalters, insbesondere Bibelepik und Gebetsliteratur, Laienfrömmigkeit sowie die historische Narratologie.
Vom Du-Erzählen. Die Du-Anrede als narrative Strategie in volkssprachlichen religiösen Texten des späten Mittelalters
(Betreuerinnen: JunProf. Dr. Henrike Manuwald und Prof. Dr. Monika Fludernik)
Projektbeschreibung:
In meiner Dissertation, die ich im September 2018 eingereicht und im Mai 2019 verteidigt habe, habe ich das Phänomen der narrativ gebrauchten Du-Anrede in volkssprachlichen religiösen Texten des späten Mittelalters. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass die mittelalterliche religiöse Literatur pragmatisch funktionalisiert ist und einen festen Sitz im Glaubensleben besitzt (Hartmann: Religiöse Texte als linguistisches Objekt 1973). Religion entfaltet somit eine „poetogene“, d.h. literaturschaffende Kraft (Asssmann/Assmann: Das Geheimnis und die Archäologie der literarischen Kommunikation 1997), die sich in der Entwicklung einer leistungsfähigen Erzähl- und Kommunikationshaltung niederschlägt. Mit der narrativ gebrauchten Du-Anrede nimmt die Arbeit eine Erzählstrategie in den Blick, mit der das Transzendente als prinzipiell Unverfügbares greifbar gemacht und ein Austausch zwischen Gläubigen und dem Göttlichen bzw. Heiligen möglich werden kann.
Von den vielfältigen Formen der Anrede, die die mittelalterliche Literatur kennt, unterscheidet sich die narrative Apostrophe in drei Aspekten, die sich in der narratologischen Forschung zur (post-)modernen Du-Erzählung als Minimalkonsens etabliert haben: Neben dem Vorhandensein einer Anrede (1), die sich an den Protagonisten der erzählten Welt richtet (2), muss das Kriterium der Narrativität erfüllt sein (3) (vgl. Wiest-Kellner: Messages from the Threshold 1999). Während dies prinzipiell auch für die mittelalterliche Du-Erzählung gilt, unterscheidet sich die Ausgestaltung der Kommunikationssituation jedoch stark von der der modernen Du-Erzählung: Das angesprochene Du ist nicht Teil eines fiktiven Weltentwurfs, sondern als göttliche bzw. heilige Entität auch textextern präsent und überzeitlich ansprechbar; ihr Wirken wird dazu instrumentalisiert, erneutes Handeln zu motivieren. Diese ausgeprägte Performativität der mittelalterlichen Du-Erzählung wurzelt in der Tradition des gebetshaften Sprechens, das mit narrativen Elementen neu amalgamiert wird. Damit entfallen auch die in den modernen Du-Erzählungen häufigen Plausibilisierungsversuche, die die einem Natürlichkeitsparadigma widersprechende Kommunikationssituation zu erklären, in der einem Gegenüber dessen eigene Geschichte erzählt wird.
Anhand eines Untersuchungskorpus aus Erzähl- und Gebetstexten sowie deren Zwischengattungen habe ich nach den narratologischen Spezifika der mittelalterlichen Du-Erzählung (I. Schwerpunkt) und diese im Kontext der spätmittelalterlichen laikalen Frömmigkeitspraxis (II. Schwerpunkt) betrachtet. Neben einem narratologischen Zugang wurden hierfür auch Ansätze und Konzepte aus der Sprachphilosophie und der Linguistik gewählt.